Das Urteilsbuch von 1538 bis 1609
„Urteilen in offenen Rechten ufZinstag nach Ulrici“, so der Titel des aus dem Ende des Mittelalters und Beginn der Neuzeit stammenden Buches. Es versammelt in einem voluminösen Konvolut von 545 Seiten die Klagsachen von Privatpersonen und die darin vor dem Gericht in Gernsbach ergangenen Urteilssprüche.
Die Klagsachen betreffen alle Aspekte von Rechtsvergehen, die in den Bereich der niederen Gerichtsbarkeit fallen: Streitigkeiten des Erbrechts, Besitzansprüche, Rechtmäßigkeit von Verkäufen, Wässerungsrechte, Beleidigungen und tätliche Übergriffe. Unterschieden wurde auch, ob Verstöße innerhalb der Stadtmauern vorkamen oder nicht.
Das Gericht durfte keine Blut- oder Leibstrafen aussprechen. Viele der Urteile beinhalten die Zahlung einer bestimmten Geldsumme, aber auch die Verhängung von Turmstrafen bei „Wasser und Brot“.
Das Urteilsbuch ist als eine Ergänzung des nur wenige Jahre zuvor verfassten Eidbuches der Stadt zu sehen. Der dort erwähnte Vogtsamtsverweser Jacob Hochmüller wird in vielen Entscheiden des Urteilsbuches als Richter erwähnt.Beide Konvolute bilden zusammen historisch bedeutende und einmalige Quellen, um Einblicke zu erhalten in die Regelung und Sicherung des öffentlichen Lebens in der Stadt am Ausgang des Mittelalters.
Das Urteilsbuch in den Maßen 30 cm x 21 cm x 10 cm befand sich allerdings in einem verheerenden Zustand, es drohte förmlich zu zerfallen. Die Restauratorin schlug deshalb drei Schritte vor:
- Papierrestaurierung in einem spezialisierten Fachbetrieb
- Digitalisierung des Textes
- Restaurierung des Bucheinbandes.
Im Frühjahr 2015 kam das Urteilsbuch zunächst in eine Fachwerkstatt nach Leipzig. Nach einer Sterilisierung des Bandes und Abtötung des Schimmelbefalls konnte das Buch trockengereinigt werden. In einem weiteren Arbeitsgang erhielten die Seiten eine Foliierung und Paginierung, sie wurden gewässert, gepuffert, angefasert und neu verleimt; der Buchblock völlig auseinander genommen. Die originalen Klebepappen mit theologischen und profanen auf Latein und Deutsch verfassten Druckschriften wurden in gleicher Weise behandelt, die Seiten selbst herausgelöst. Diese Makulatur wird separat in säurefreien Briefbögen aufbewahrt.
In diesem Zustand war es möglich, den Textkorpus zu digitalisieren und die Daten auf einer CD zu speichern.
Nun konnte sich die Restauratorin an der BLB in Karlsruhe der ähnlich aufwändigen Restaurierung des Bucheinbandes vornehmen. Hier musste für die Heftung neues Gewebe und Japanpapier eingebracht, der Einband mit säurefreiem Museumskarton völlig neu aufgebaut werden; mehrfach anfeuchten, durchtrocknen und erneut verkleben und pressen bestimmten die nächsten Arbeitsschritte.
Die Bünde für die Stabilisierung des Buchrückens wurden teils neu angebracht, die Spiegel instand gesetzt. Die Einbände erhielten ein neues Leder, das zunächst geschnitten, vorbehandelt und angepasst wurde. Reste des originalen Leders mit den Blinddrucken wurden an der Vorder- und Rückseite des Buches aufgeklebt.
Im späten Frühjahr 2016 konnte das Urteilsbuch wieder in das Stadtarchiv gebracht werden. Es ist erstaunlich, wenn diese restaurierte Archivale mit Fotos seines ursprünglichen Zustandes verglichen wird. Und es zeigt auch, was heute mit Hilfe einer modernen Restaurierungstechnik möglich ist, aber auch welches fachliche Wissen und handwerkliche Können von Nöten sind.
Es wird – bei sachgemäßer Aufbewahrung - sicher die nächsten Jahrzehnte ohne Schaden überstehen. Angesichts all der Bemühungen und auch angesichts seiner historischen Bedeutung sind dann auch die Kosten von ca. 5.500 €, verteilt auf zwei Jahre, zu rechtfertigen.