Altes Rathaus - Wahrzeichen der Stadt

Besucher vor dem Alten Rathaus
Das Alte Rathaus zu Gernsbach

Das „Alte Rathaus" zählt zu den schönsten und kunst-historisch bedeutendsten Wohnbauten seiner Zeit in Süddeutschland. Den Namen hat es von seiner späteren Nutzung. Erbaut wurde es 1617/1618 als herrschaftliches Wohnpalais. Der Bauherr ist in der lateinischen Inschrift am unteren Erkergeschoss verewigt (übersetzt: Johann Jakob Kast ließ dieses Haus erbauen anno 1617).

Der Vater des Bauherrn, Jakob Kast aus Hörden, war als Hauptschiffer (eine Art Vorstand) der Murgschifferschaft (genossenschaftlicher Verband der Waldbesitzer, Inhaber von Sägemühlen und Holzhändler im Murgtal) und Handelsbevollmächtigter des badischen Markgrafen zum größten Unternehmer mit Monopolstellung für den Holzhandel am Oberrhein aufgestiegen. Seine Flöße fuhren bis Mainz und Bingen, gelegentlich sogar bis zu den Städten am Niederrhein. Fürsten und Bischöfe zählten zu seinen Schuldnern. Daher wird er zuweilen auch als „badischer Fugger“ bezeichnet. Nach seinem Tod 1615 führten seine Söhne Johann (Hans) Jakob (geboren um 1560) und Philipp das Geschäft fort. Die Familie Kast existiert noch heute.

Ein Haus als Statussymbol

Portal des Alten Rathauses
Portal des Alten Rathauses

Hans Jakob Kast wollte ein Haus, das Aufsehen erregte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Häusern wurde es daher aus Steinquadern (Sandstein der Umgebung) gebaut. Mit seiner Lage am Markt befand es sich in einem der vornehmsten Wohnviertel. Die Architektur ist palastartig (wuchtiger Sockel, ungewöhnliche Höhe, prächtige Schaufassaden, eine nördliche mit Portal, eine östliche mit mächtigem Giebel, reich verzierter Erker). Auf der Rückseite befand sich der Lieferanteneingang (zugemauertes, später mit Fenster versehenes Tor).

Architekt und Baustil - alles vom Feinsten

Erker des Alten Rathauses
Erker des Alten Rathauses

Der Name des Architekten ist nicht überliefert. Stilvergleiche legen nahe, dass die Baupläne von Johannes Schoch (1550–1631) stammen, einem renommierten Baumeister, der auch für die Stadt Straßburg, den Markgrafen von Baden-Durlach, den Kurfürsten von der Pfalz und den Bischof von Speyer tätig war. Sein berühmtestes Werk, der Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses, war Vorbild für das „Alte Rathaus“. Schoch baute im damals hochmodernen Stil des Manierismus (Übergang zwischen Renaissance und Barock).
 
Merkmal des Manierismus ist der überreiche Fassadenschmuck: gesprengte, wuchtige Dreiecksgiebel über den Fenstern, sich ein- und ausrollende Bänder und Schnecken (Voluten), Obelisken, Schmuckelemente in Form von Edelsteinen. Besonders typisch: das in Stein gemeißelte Beschlagwerk, das den optischen Eindruck von schmiedeeisernen, von außen auf die Fassade geschraubten Zierelementen erweckt. Die beiden Sonnenuhren am Erker (eine davon mit Symbolen für Tierkreiszeichen) spiegeln das Interesse der Zeit an wissenschaftlichen Themen wie der Astronomie und weisen auf die Bildung des Bauherrn hin.

Die Legende von der Straßburger Ehefrau

Von seinem Prestigebau hatte Hans Jakob Kast nicht viel, schon bald (spätestens 1623) zog er nach Straßburg. Dass er wegen seiner aus Straßburg stammenden Ehefrau Gernsbach verließ, ist eine hübsche Legende. Tatsächlich war er seit 1596 mit Maria Vogler aus Heilbronn verheiratet und ehelichte erst nach deren Tod 1627 die Straßburgerin Katharina Berner. Sein Wegzug aus Gernsbach, wo er seit 1590 ansässig war, muss andere Gründe gehabt haben: 1618 brach der Dreißigjährige Krieg aus, durchziehende Truppen kamen bald in bedrohliche Nähe. Auch der Holzhandel im Kinzigtal erforderte wohl verstärkt Kasts Anwesenheit in Straßburg, während sein Bruder für das Geschäft im Murgtal zuständig war. Es fällt auf, dass Hans Jakob Kast, im Gegensatz zu etlichen seiner Verwandten, keine öffentlichen Ämter in Gernsbach bekleidete. Das lässt vermuten, dass er schon früher mehr nach Straßburg hin orientiert war.

Nur ein halbes Haus?

Ansicht des Alten Rathauses von Oka Barold (1973)
Ansicht des Alten Rathauses

Häufig wurde die Annahme geäußert, der Bauherr habe seinen Gernsbacher Stadtpalast unvollendet zurückgelassen. Gestützt wurde diese Annahme durch die Asymmetrie des Gebäudes: Der Erker an der linken Vorderfront und die Dachgaube auf der rechten Seite haben keine entsprechenden Gegenstücke. Im Gegensatz zur steinernen Ostseite ist der Westgiebel mit Fachwerk geschlossen (2020 aufwändig saniert). Plante Hans Jakob Kast eventuell einen spiegelbildlichen Erweiterungsbau? Scheiterte dieses Vorhaben, weil er das Nachbargrundstück wegen Differenzen mit dem Eigentümer nicht in seinen Besitz bringen konnte? Keine dieser Spekulationen lässt sich beweisen. Vielleicht ist die fehlende Symmetrie auch viel einfacher zu erklären: Der Architekt hat sie möglicherweise geopfert, um auf dem beengten Grundstück einen optimalen optischen Gesamteindruck zu erzielen. Wer den Stadtbuckel hochsteigt, dem sticht die aufragende Ostfront des Gebäudes mit dem Erker und der anschließenden Nordfront als prächtiges Ensemble ins Auge.

Vom Palais Kast zum "Alten Rathaus"

Barocke Statue der Heiligen Anna vor dem Alten Rathaus
Heilige Anna vor dem Alten Rathaus

Die Behauptung, Kast habe bei seinem Wegzug aus Gernsbach der Stadt das Gebäude als Rathaus geschenkt, entspricht nicht den historischen Tatsachen. 1626 führt ein Straßburger Inventar das Palais noch als Kasts Eigentum auf. Später kam es in die Hände von Jacob Weiler. Im Orléansschen Krieg wurde es 1691 stark beschädigt und blieb längere Zeit ohne Dach der Witterung ausgesetzt. Nach 1715 kaufte die Stadt das Gebäude von den Erben Jacob Weilers und begann, wie aus den Bürgermeisterrechnungen hervorgeht, 1722 mit den nötigen Arbeiten, um es als Rathaus herzurichten. Damit stimmt auch die jüngste dendrochronologische Untersuchung des Dachgestühls überein, wonach die verwendeten Stämme 1722 gefällt und kurz danach verbaut wurden. 1723 wurde die Wendeltreppe repariert, der einsturzgefährdete Erker gesichert, und das Hauptdach sowie die Dächer des Erkers und des Türmchens auf dem Dach neu gedeckt. Bis 1936 wurde das Gebäude als Rathaus genutzt. An den Giebeln ließ man 1884 Uhren anbringen. Einer der Sponsoren (Casimir Kast) ist über dem Eingangsportal verewigt (1886). 1890 eignete sich die Stadt das Haus quasi als herrenloses Gut an, da kein anderer Eigentümer mehr Ansprüche erhob. Offenbar war der ursprüngliche Kauf des Gebäudes in Vergessenheit geraten.
 
Die barocke Statue der heiligen Anna wurde vermutlich nach 1722 vom Vogt des Bistums Speyer aufgestellt. Die katholischen Stadtherren, der Markgraf von Baden-Baden und der Fürstbischof von Speyer, führten damals verstärkt wieder katholische Bräuche wie das Aufstellen von Heiligenfiguren und die Abhaltung von Prozessionen ein. Eine Heiligenfigur ausgerechnet vor dem Rathaus wurde von der seit 1556 mehrheitlich evangelischen Bevölkerung als besondere Provokation empfunden!

Rätselhaftes Wappen

Wappen über dem Portal
Wappen über dem Portal

Das Allianzwappen über dem Portal ist nicht restlos geklärt: Der Löwe mit Baum (Holz als Quelle des Reichtums) ist Emblem der Familie Kast. Die rechte Helmzier, ein Vogel, könnte auf Kasts Ehefrau Maria Vogler hinweisen (die Familie Vogler führte einen Raubvogel im Wappen). Der Inhalt der Wappenschilde ist sicher nicht ursprünglich. Die Rose kam erst viel später ins Kastsche Wappen. Bis 1660 war sie Emblem der Stadtherren, der Grafen von Eberstein. Die hätten einem Kaufmann kaum gestattet, sich ihr Wappen anzueignen (auch wenn sie bei ihm verschuldet waren). Die Rose (seit 1393 im Stadtsiegel) steht hier wohl für die Stadt Gernsbach. Dazu würde der Doppelhaken (schon 1511 städtisches Wappensymbol) im rechten Schild passen. Vermutlich setzte die Stadt ihre eigenen Symbole später in die Schilde, um das Gebäude auch nach außen hin als Rathaus kenntlich zu machen. Ursprünglich zeigten die Schilde möglicherweise die Schifferzeichen der jeweiligen Familien.

Das Innere - die Highlights

Steinportal zum Bürgersaal
Steinportal zum Bürgersaal

Ein architektonischer Glanzpunkt ist die steile Wendeltreppe in der Nordwestecke, die sich in einem turmartigen Treppenhaus bis ins erste Dachgeschoss hinaufwindet. Die 1976 nach Spuren der Original-Bemalung restaurierten Sandsteinportale von 1617 und 1618 (Eingang vom Erdgeschoss ins Treppenhaus und Innenportal des Bürgersaals) geben einen Eindruck von der leuchtenden Farbigkeit, die sicher auch für die Außenfassade vorgesehen war. Der Gewölbekeller mit der mächtigen tragenden Mittelsäule stammt höchstwahrscheinlich nicht aus dem Spätmittelalter, sondern wurde gleichzeitig mit dem Haus erbaut. Das zweite Obergeschoss, damals Ratssaal, erhielt 1906 von dem Karlsruher Maler Hermann Baumeister dank Spenden der Familien Kast und Katz eine Ausgestaltung mit reichhaltigen Girlanden- und Wappenmalereien im Stil des Manierismus. Ergänzt durch die Gemälde von Gernsbach und Schloss Eberstein, verleihen sie dem Raum, der seit 1995 auch als Trausaal genutzt wird, Gediegenheit und historisches Flair. 2020 verhalf eine Restaurierung den Malereien wieder zu ihrer ursprünglichen Frische.

Rettung vor dem Verfall

1936 zog die Verwaltung in ein neues Rathaus um. Das „Alte Rathaus“ wurde für verschiedenste Zwecke genutzt (Lager, Stadtarchiv, Polizeidienststelle, Proberaum des Gesangsvereins). Schon vor dieser Zeit hatten sich gravierende Schäden am Bau bemerkbar gemacht. Die innere Aufteilung der Räume war je nach Bedarf häufig verändert worden. Dadurch hatte sich die Statik des Gebäudes, dessen Gewicht zu einem großen Teil auf der tragenden Säule im Gewölbekeller ruht, gefährlich verschoben. Die umfassende, 1,5 Millionen DM teure Sanierung zwischen 1975 und 1979 gab dem Bau wieder Stabilität. Wandmalereien und farbige Steinfassungen wurden restauriert. Einen Bericht über die Arbeiten birgt die Nische an der Nordwand des Bürgersaals. Der Stein davor trägt das Stadtwappen und die Angabe „Renoviert 1976-1978“.

Ein fester Platz im Leben der Stadt

So gefestigt nahm das „Alte Rathaus“ wieder seinen festen Platz im Leben der Stadt ein. Die neue Gestaltung des Innenraums ab 1975 sah für Parterre und Keller ein Weinlokal vor. Seit 1986 hat das Weingut Iselin hier seinen Sitz (Weinkontor im Erdgeschoss, Weinproben im Gewölbekeller). Der Saal im zweiten Obergeschoss wird seither als „Bürgersaal“ für kulturelle Zwecke genutzt und erfreut sich seit 1995 als Trausaal steigender Beliebtheit. Bereits über 1200 Brautpaare haben sich hier das Jawort gegeben, ungefähr die Hälfte von ihnen aus Städten und Gemeinden von außerhalb. Als Wahrzeichen und Alleinstellungsmerkmal der Stadt ist das „Alte Rathaus“ 2007 zum Ausgangspunkt des Ortenauer Weinpfades erkoren worden. Seit 2012 beherbergt es das „Museum der Harmonie“.

Museum der Harmonie

Seit April 2012 ist in den oberen Stockwerken des Alten Rathauses das „Museum der Harmonie“ untergebracht, das von der Jan Brauers-Stiftung betrieben wird.
Mit diesem Museum ist das Murgtal um eine Kunstsammlung reicher, die einen ganz besonderen thematischen Ansatz bietet. Das aus der antiken Philosophie stammende Prinzip der Harmonie geht davon aus, dass der Natur und dem gesamten Kosmos eine feste Ordnung nach bestimmten Proportionen innewohnt, die sich auch in den Kunstwerken aller Epochen widerspiegelt.
 
Ausgehend von dieser Idee widmete sich der aus Niedersachsen stammende Unternehmer Jan Brauers (1923-2004) dem Sammeln von Kunstwerken mit besonderem Bezug zur Harmonie. Seine Sammlung von selbstspielenden mechanischen Musikinstrumenten war 1984 der Grundstock des Deutschen Musikautomaten-Museums im Schloss Bruchsal, weitere Sammlungsobjekte bildeten das Museum der Harmonie in Baden-Baden. 2012 verlegte die von Brauers gegründete Stiftung ihren Sitz ebenso wie das Museum ins Alte Rathaus nach Gernsbach. Zu sehen sind Kunst, Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenstände von der griechischen Antike bis zu Gegenwart, daneben historische Musikautomaten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die nahezu alle in spielfähigem Zustand sind. Wichtigstes Ausstellungsstück ist dabei ein Welte-Mignon-Flügel mit einer umfangreichen Sammlung von zeitgenössischen Originalrollen.
 
Gemälde, Grafiken und Skulpturen aus mehreren Jahrhunderten zeigen Szenen antiker Mythologie, verdeutlichen Proportionen oder beschäftigen sich motivisch mit Themen der Harmonie. Eine besondere Rolle spielt dabei die Lyra, ein schon in der Urgeschichte nachgewiesenes Instrument. Durch die Orpheus-Sagen ist die Lyra in der Kulturgeschichte Europas präsent. Als Ornament hat sie innerhalb von Kunst und vor allem Kunsthandwerk vielfältige Verwendung gefunden. Ein großer Teil der Sammlung beschäftigt sich mit diesem Motiv und seinem Auftreten in Geschichte und Gegenwart.
 
Die Jan Brauers-Stiftung ist nicht nur Trägerin des Museums der Harmonie. Sie veranstaltet auch eigene Konzert- und Vortragsreihen und betreibt einen Verlag. Nach ihrem Selbstverständnis fördert sie die kulturelle und wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Harmoniebegriff und die Erforschung seiner gesellschaftlichen Bedeutung im fächerübergreifenden Zusammenhang. Für die Unterbringung des Museums hat die Stiftung umfangreiche denkmalgerechte Sanierungen am Alten Rathaus vorgenommen.

Steckbrief

Steckbrief

1617/1618         Erbaut als Wohnpalast im Stil des Manierismus

1623                    Der Bauherr Hans Jakob Kast, ein reicher Murgschiffer,zieht nach Straßburg.
                     
1626                    Das Gebäude befindet sich immer noch im Eigentum Hans Jakob Kasts,
                             danach gelangt es über seinen Sohn und Schwiegersohn in den Besitz
                             der Familie Weiler

1691                   Beschädigung im Orléansschen Krieg, das Gebäude ist längere Zeit
                             ohne Dach der Witterung ausgesetzt

Nach 1715        Die Stadt kauft das Gebäude von den Erben Jacob Weilers

1723                   Die Stadt richtet das Gebäude als Rathaus her

1723-1936        Nutzung durch die Stadt Gernsbach als Rathaus

Seit ca. 1920    Das Gebäude befindet sich auf der Liste der badischen Kunstdenkmäler

Seit 1937          Es wird zu den bedeutendsten Kunstdenkmälern Deutschlands gezählt (Dehio-Handbuch)
                         Nutzung für verschiedene Zwecke, zunehmende Schäden am Bau

1975-1979        Umfassende Sanierung

Seit 1986          Sitz des Weingutes Iselin

Seit 1995          Hochzeiten im Bürgersaal

Seit 2007          Ausgangspunkt des 103 Kilometer langen Ortenauer Weinpfades

Seit 2012          Sitz der Jan Brauers-Stiftung mit dem Museum der Harmonie

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vergoldete Spieluhren und Kerzenleuchter im Museum der Harmonie

Jan-Brauers-Stiftung

Museum der Harmonie

Seit 2012 befindet sich im Obergeschoss das „Museum der Harmonie" der Jan Brauers-Stiftug mit einer umfangreichen Kunstsammlung zum Harmoniebegriff und eine Sammlung historischer Musikautomaten.
www.janbrauers-Stiftung.de

Wein & Kultur

Weingut Iselin

Seit über 30 Jahren pflegen Sara und Rainer Iselin das Kulturgut Wein. Sitz des Weinguts ist seit 1986 das Alte Rathaus, wo seither im Gewölbekeller Genuss und Kultur gepflegt werden.
www.weingutiselin.com

Wanderer im Weinberg, im Hintergrund Schloss Eberstein

Wander- und Weingenuss

Ortenauer Weinpfad

Der Startpunkt des über 100 Kilometer langen Weinpfads parallel zur Badischen Weinstraße befindet sich beim Alten Rathaus.

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